Sadhus
Da steht sie nun vor braunem Sackleinen. Die junge Nepalesin will unbedingt fotografiert werden. Schließlich hat sie, wie all die anderen hier, auf diesen Auftritt lange gewartet. Peter Eising muß sich in Geduld üben. Nein, erklärt er zum wiederholten Mal, hier würden keine Frauen porträtiert. Er mache Aufnahmen von Sadhus, den heiligen hinduistischen Wandermönchen. Den Tränen nahe erklärt die erwartungsvolle Frau, man hätte ihr gesagt, sie müsse nur lange genug zu Shiva beten, und schon würde der Herr aus Germany auch sie ablichten. Schließlich zeigt der Fotograf hinter der Sinar-4x5-Inch-Kamera Herz und macht eine Aufnahme von der eigensinnigen Frau - für das Archiv.
Die anfängliche Scheu der Menschen scheint verflogen. Stetig wächst die Schar der Interessierten hier in Pashupatinath bei Kathmandu. Bis zu einer Stunde stehen die Asketen Schlange für ein Porträt, das sie nie sehen werden. Die ersten Test-Polaroids haben Wunder gewirkt. "Nach Besichtigung der Fotos waren viele sehr stolz, sich in meiner Arbeit wiederzufinden", berichtet der Fotograf. Vom ursprünglichen Konzept, nur einzelne Personen abzubilden, ist Peter Eising schnell abgewichen. Manche Sadhus lassen sich nur mit ihren Freunden ablichten, andere wollen sich um keinen Preis vom geliebten Affen trennen oder aber nur splitternackt auftreten. "As you like it, Sir". Die Porträtsitzung ist das Ereignis. Den vielen Zuschauern wird schließlich auch etwas geboten: Da kommt es schon mal vor, daß sich einer dieser weisen Männer auf den Boden vor Eising setzt, wartet, bis das Bild im Kasten ist, und dann wortlos die Szenerie verläßt. Ein anderer Sadhu schleicht sich verkleidet mehrfach unter die Wartenden. Eising entdeckt den Trick des Selbstdarstellers erst zu Hause beim Sichten der Dias.
Drei Tage vor dem großen Vollmondfest im Februar haben sich bereits knapp 3.000 Sadhus auf dem heiligen Boden am Fluß, in nächster Nähe zur Tempelanlage, versammelt. In der Nacht der Nächte werden hier schließlich 10.000 bis 20.000 Menschen feiern. Schon jetzt ist es schwer, im Trubel eine ruhige Stelle zu finden. Peter Eising fotografiert drei Tage lang jeweils drei Stunden pro Tag, von 10 bis 13 Uhr. Dann reist er weiter. Er benötigt keine großen Aufbauten, arbeitet mit Tageslicht. Die Requisiten brachte er aus Deutschland mit. "Selbst Nägel und Hammer hatte ich vorsichtshalber dabei", berichtet der Fotograf, der diese Reise seit einem Jahr akribisch vorbereitete.
"Ich habe in der Vergangenheit immer wieder Porträtserien fotografiert. Aber das ist meine bislang wichtigste Arbeit, weil sie viel mit meiner eigenen philosophischen Weltanschauung zu tun hat". Seit fünfzehn Jahren zieht es Eising, der über die Beschäftigung mit Hermann Hesses Werk zum Buddhismus und später auch zum Hinduismus fand, nach Asien.
Schon bei den ersten Reisen durch Indien und Nepal war es fasziniert von den Sadhus, "diesen merkwürdigen Menschen am Wegesrand. Sie haben eine Ausstrahlung, die mich begeistert", verrät Peter Eising. "Manchmal erzählen sie mir vom Sinn des Lebens, geben sie mir Einblick in Ihre Meditationsmethoden oder blicken mir einfach nur intensiv ins Gesicht. Diesen Blick, der für mich so viel Ausdruckskraft hat, wollte ich unbedingt festhalten". So entstand der Gedanke zu dieser Fotosession in Nepal.
Ein religiöses Fest schien Eising für die Umsetzung am besten geeignet. Zu derlei Gelegenheiten kommen Wandermönche von weit her angereist. Pashupatinath bei Kathmandu gerhört zu den vier größten shivaistischen Pilgerstätten, zu denen die Sadhus wandern, um ihren Patron Shiva zu preisen. Ausgestattet sind sie mit den Attributen, die Shiva zugeschrieben werden. Im spärlichen Reisegepäck befindet sich die Sanduhrtrommel, der Dreizack, Schlangen, Gebetskränze, Glocken und immer ein kleines Henkelgefäß für Gaben, die man ihnen reicht. Wie einst der Kölner Meisterfotograf August Sander bat der Wahl-Münchner die Sadhus vor neutraler Leinwand zum Porträt, damit der Körper losgelöst von der Umgebung allein durch sich wirkt. Seine Philosophie: "Ich will den Menschen so belassen, wie er ist. Bei einer Porträtsitzung mache ich deshalb keine Eingriffe. Pro Person wird nur ein Bild angefertigt. Jeder kann sich so darstellen wie er will". 200 Sadhus hat er schließlich in den drei Tagen vor dem Vollmondfest fotografiert.
Der 45jährige Reise- und Peoplefotograf kann mit dem Ergebnis zufrieden sein. Jetzt sollen seine Bilder hierzulande eine Botschaft weitertragen. "Ich möchte mit dieser Arbeit dazu beitragen, daß es diese Mönche noch länger gibt. Viele von ihnen sind fantastische Menschen mit einer großen Weisheit. Es ist eine Bereicherung, ihnen zuzuhören und mit ihnen zu sprechen". Im Zeitalter des Massentourismus verkümmern viele Sadhus zu Attraktionen am Straßenrand, zum kuriosen Urlaubsmotiv. Peter Eisings Porträts laden ein, sich mit diesen Menschen intensiver auseinanderzusetzen. Sie machen neugierig auf eine Kultur, die vielen fremd ist.
maz
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