Shivas Jünger
Der ferne Osten ist seit fünfzehn Jahren sein Reiseziel. Immer wieder zieht es den Fotografen Peter Eising aus München nach Asien. Bevorzugt nach Indien und Nepal. Und natürlich waren es zunächst die Landschaftseindrücke, die auf ihn vom Meer bis zum Himalaya einwirkten. Stets traf er dabei auf oft recht merkwürdig anzuschauende Menschen, die - meist stumm - am Wegesrand oder offenen Feuer saßen, oder sich an den heiligen Stätten aufhielten. Sie faszinierten nicht allein durch ihr oft verwegenes, wildes äußeres oder durch die bunten Gewänder, die sie um ihren Körper geschlungen hatten. Es war ihre intensive Ausstrahlung, die Peter Eising anzog. Diese starke Ausstrahlungskraft, tief wurzelnd in der hinduistischen Religion, wollte der Fotograf in Bilder umsetzen. Schnell begriff er, daß die Bezeichnung Bettelmönch diese Menschen nur unvollkommen beschreibt, daß viele von einen hohen Bildungsstand haben und mit der englischen Sprache durchaus vertraut sind.
So kam er mit ihnen in Kontakt: Sie philosophierten, erzählten vom Sinn des Lebens, von ihren Meditationsmethoden und natürlich von Shiva, ihrem Gott mit den 1008 Namen, der neben vielem anderen der Patron der echten und falschen Asketen, der Yogis, Tänzer und Wanderbettler ist. Meditation, aber auch esoterische und orgiastische Riten führen zu ihm. Deshalb ziehen seine Anhänger, die Sadhus - heilige Wandermönche - auf ihrer Pilgerfahrt zu den religiösen Festen von Ort zu Ort und schlafen in den Shivatempeln. Sie halten den Platz um die heiligen Bezirke sauber, geben Lebensratschläge, führen astrologische Beratungen durch oder hören einfach zu, was schon einer Therapie gleichkommt. Dafür werden sie mit Geschenken bedacht, die sich nach dem Vermögen des Ratsuchenden richten.
Sadhus sind leicht zu erkennen. Als äußere Zeichen tragen sie die Attribute, die Shiva zugeschrieben werden: Sanduhrtrommel, Gebetskranz, Glocke, Schlange, Schädeldecke, Dreizack und Flagge. Symbol der Magie, des Schamanismus und der Askese. Im kleinen Henkelgefäß, das sie stets mit sich tragen, werden die Gaben gesammelt. Es dient zum Essen und Trinken. Mit den Fotos, die Peter Eising von den Sadhus beim Baden, Meditieren, Erzählen oder am Feuer machte, war er jedoch nie so recht zufrieden, so daß er sich entschloß, sie so zu fotografieren, daß nur der Körper alleine wirken sollte, losgelöst von der Umgebung, damit sich das Innere nach außen kehren möge. Also suchte Peter Eising den Pashupatinath-Tempel in Kathmandu auf, wo beim ersten Vollmond im Februar das größte Fest gefeiert wird, zu dem sich 50 000 und mehr Menschen einfinden.
Und so baute er mit Hilfe eines deutschsprachigen Inders sein Freiluftatelier nahe der Tempelanlage auf: eine große Zeltbahn und die Kamera (Sinar 4x5 inch mit einem Sironar 5,6/210 mm-Objektiv und zwölf Kassetten mit Fuji Velvia-Film). Die umliegenden weißen Mauern bildeten die "Aufheller". Nach anfänglicher Skepsis und der Betrachtung einiger Polaroids waren die Sadhus jedoch schnell überzeugt von Eisings Arbeit und bereit, sich porträtieren zu lassen. Sie waren geradezu stolz, an dem Projekt teilnehmen zu können, kamen schließlich in Scharen und warteten in langer Schlange geduldig eine Stunde lang, bis sie sich auf das aufgespannte Tuch stellen durften. Von da an war Peter Eising klar, daß sein Projekt Erfolg haben würde. Innerhalb von nur drei Tagen fotografierte er über 200 Wandermönche.
Der BFF-Fotograf, der nach dem Besuch der Münchner Fotoschule Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften studiert hat, für in- und ausländische Zeitschriften arbeitet und seit 1975 das eigene Fotostudio betreibt, bezeichnet die Serie über die Sadhus als seine wichtigste. Und keine Frage, daß in Peter Eisings "fremden" Menschenbildern eine philosophische Weltanschauung der anderen Hemisphäre reflektiert wird.
Eberhard Hess
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